Ironman European Championships Frankfurt 2009

05. Juli 2009

Mir geht die Düse. Dreimal schon war ich auf dem Dixi, ich hoffe, der Darm ist jetzt mal leer. Vielleicht ist es aber auch nur psychisch. Es ist kurz vor 7 Uhr, ich stehe am Ufer des Langener Waldsees, blicke über die endlos lang erscheinende Schwimmstrecke und frage mich, ob es wirklich eine gute Idee war, mich von meinen lieben Vereinskollegen zu einer Triathlon-Langdistanz überreden zu lassen. Bisher habe ich ja noch nicht mal eine Mitteldistanz absolviert und dann gleich sowas. So lange haben sie mich gelöchert, bis ich bei irgendeiner Stammtischrunde nach dem 3. Weizen gelallt habe "Wenn ihr euch anmeldet, tue ich es auch". Damit war's passiert. Was folgte, war ein kurzer Herbst und ein langer Winter, in dem ich mich nicht so richtig zum Langdistanz-Trainig motivieren konnte, ich habe es einfach mehr mit Sonne und Wärme. Nun stehe ich hier und frage mich, ob das Training der letzten Monate gereicht hat, um anzukommen. Mehr als 3000 Radkilometer dürften es nicht gewesen sein seit dem Trainingslager in Andalusien Ende März. Da ging's dann auch schon mal von Köln zum Eis essen nach Monschau und zurück. Nach den 200 km war ich froh, mich auf die Couch fallen lassen zu können. Und heute soll ich nach 180 Radkilometern noch einen Marathon laufen? Nee, is klar. Zumal ich erst Anfang Mai mit langen Läufen angefangen habe, jedes Wochenende 3 km mehr, bis ich vor 2 Wochen bei 33 km angekommen war. Die letzten beiden Wochen war dann nur noch lockeres Training angesagt, Ausruhen für den großen Tag.

Die Ruhe vor dem Sturm. © www.asiphoto.com Mein Grübeln wird vom Ansager unterbrochen, der alle Starter ins Wasser zitiert, die Stunde der Wahrheit ist gekommen. 2000 Bekloppte in Neopren und roten Käppchen strömen in den Langener Waldsee. Auf dem Weg zum Einstieg treffe ich Kristina und Andreas, die mir meine Nervösität deutlich ansehen und mich zu beruhigen versuchen: "Schwimmen kannst Du doch!". Na ja, alles ist relativ, aber das Schwimmen macht mir in der Tat am wenigsten Sorgen, die 4 km-Einheiten auf der Regattabahn im Fühlinger See gingen immer recht locker von den Armen. Ich stapfe ins pisswarme Wasser (fast 26 Grad) und positioniere mich irgendwo mittendrin, wo, ist mir relativ egal, es wird hier gleich eh drunter und drüber gehen. Als endlich das Runterzählen anfängt, bin ich richtig froh, denn nun hat das Nachdenken ein Ende: 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 - der Startschuss fällt und das Wasser beginnt zu brodeln, als sich 4000 Arme und genauso viele Beine mehr oder wenig erfolgreich versuchen, maximalen Vortrieb zu verschaffen. Wie erwartet, ist der Start eine Prügelei, von rechts kommt ein Ellbogen in die Rippe, von hinten grabscht eine Hand nach meinen Füßen und vorne komme ich aufgrund einer Doppelzange nicht durch. 100 m geht das so, dann schwimme ich einfach über die beiden Nichtschwimmer, die sich unbedingt in den vordersten Reihen positionieren mussten, drüber weg - und auf einmal ist Platz. Weitgehend unbehelligt kann ich ab da die 900 m zur ersten Wendeboje zurücklegen. Nach Die ersten 3,8 km sind geschafft. © www.asiphoto.com szwei 90-Grad-Wenden geht's zurück Richtung Startareal. Von links fliegt mir auf einmal ein Ellbogen in die Fresse, sodass meine Brille verrutscht und das linke Glas voll Wasser läuft. Ich will meinen Rhythmus aber nicht unterbrechen und schwimme daher - auf einem Auge blöd - einfach weiter. Nach der Hälfte der Schwimmstrecke kommt ja ein kurzer Landgang von 25 m Länge, da hab ich genug Zeit, das zu richten. Beim Landgang zahle ich dann erstes Lehrgeld, ich stehe zu spät auf, das Wasser ist schon zu flach und so handele ich mir einen kurzen Krampf im hinteren Oberschenkel ein. Leicht humpelnd und an der verrutschten Brille nestelnd lege ich die 25 m zurück und schmeiße mich dann wieder ins Wasser, auf zur 2. Runde. Die verläuft recht entspannt ohne weitere Komplikationen, sodass ich nach 1:05 Std. das Wasser verlasse und die steile Böschung zur ersten Wechselzone erklimme.

Da ist erstmal gemächliches Herauspellen aus dem Neo, Anziehen der Radklamotten und schön Eincremen mit Sonnenmilch angesagt. Schließlich ist für heute schwülheißes Wetter angesagt, strahlender Sonnenschein und 30 Grad, das wird später noch ein Spaß beim Laufen. Satte 8 Minuten dauert die Wechselprozedur, das reicht normalerweise für 3 Veranstaltungen. Aber ich will ja nur ankommen und halte es da mit den Worten eines Vereinskollegen: "Ich hab schließlich auch für 16 Stunden bezahlt!". Ich schnappe mein 12 Jahre altes Stahlross, welches ich mit einem geliehenen Klapp-Aeroaufsatz (Danke Jörg!) "aufgemotzt" habe, was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass dieses Gefährt ein Dinosaurier aus dem letzten Jahrtausend ist, verglichen mit all den Carbon-Hightech-Zeitfahrmaschinen, auf die ich schon gestern beim Einchecken ein etwas neidisches Auge geworfen habe. Auf der anderen Seite denke ich, dass es Material alleine auch nicht macht, bevor ich mein Rad für 2000 EUR und mehr um 2 kg abspecke, kann ich auch selbst für lau 2 kg abspecken.

Rollen durch Frankfurt. © www.asiphoto.com Langsam rolle ich los, die verkrampften hinteren Oberschenkel merke ich deutlich. Nach 1 km Fahrt denke ich, dass es eine gute Idee wäre, den Tacho einzuschalten, damit ich weiß, wieviel ich schon gefahren bin und - wichtiger noch - wieviel noch zu fahren ist. Die 12 km nach Frankfurt rein sind angenehm zu rollen, die erste Flasche ISO wird leer gemacht und der erste Riegel verspeist. Ich habe mir vorgenommen, jede Stunde einen Riegel zu essen, was ich im Training nie geschafft habe, ich mag die Dinger einfach nicht. Es geht durch Frankfurt durch bis zur ersten längeren Steigung in Bergen-Enkheim, "The Beast" genannt. Langsam, aber stetig geht es den Berg rauf, ich halte mich strikt an meine Taktik, immer so zu fahren, dass ich das Gefühl habe, ich könnte noch schneller fahren. Dann sollten die Beine auch noch fürs Laufen gut sein. Ich frage mich, ob andere Teilnehmer auch eine Taktik haben, denn wie so manche an mir vorbeirauschen, könnte man denken, die wollen nur 60 km fahren und dann in die Badewanne. Vielleicht können die aber einfach Radfahren.

Bei km 30 rüttelt das Kopfsteinpflaster mit dem martialischen Namen "The Hell" in Maintal-Hochstadt meine Beine durch - kurz darauf merke ich nix mehr von dem Krampf, der mich seit dem Landgang beim Schwimmen plagt, die Beine werden locker und immer besser. Über den Hühnerberg geht es auf abwechslungsreicher Strecke und durch schöne Landschaft rauf zum Wendepunkt in Bad Nauheim. Die Angelegenheit beginnt, mir richtig Spaß zu machen. Der Rückweg nach Frankfurt auf der Bundesstraße ist nicht mehr ganz so prickelnd, aber mit dem "Heartbreak Hill" in Bad Vilbel wartet noch ein richtiges Stimmungsnest. Eng stehen die Zuschauer an der Strecke und bilden eine schmale Gasse, durch die die Fahrer sich den Weg nach oben bahnen, ein Hauch von Tour de France-Atmosphäre kommt auf. Geil! Nach dem Heartbreak Hill geht es nur noch bergab runter nach Frankfurt und durch die Innenstadt auf die 2. Radrunde. Mein Tacho zeigt einen 33er-Schnitt an und ich frage mich, ob die Beine wirklich so locker sind, wie sie sich anfühlen oder ob ich mich hier gerade wegschieße. In ca. 80 km werde ich es wissen. Bis km 120 läuft alles super, ich überhole so einiges an viele Tausend Euro teurem Material, Scheibenräder und Aerohelme inklusive. Ich sag ja, Material ist nicht alles. Natürlich werde ich auch von genausoviel Tausende Euro teurem Material überholt, aber egal.

60 km vor dem Wechsel zum Laufen beginnen dann die Fußsohlen und Zehen zu schmerzen, ein Problem, welches ich im Training immer wieder hatte, normalerweise aber erst ab km 150. Und kurz danach war das Training dann meist beendet ... Jetzt habe ich noch 2 Stunden Fahrt vor mir. Bei den Abfahrten klinke ich die Schuhe immer wieder aus den Pedalen aus und nutze jede kleine Steigung, um in den Wiegetritt zu gehen und die Position auf dem Rad zu verändern, aber es hilft alles nichts, die Schmerzen bleiben. Bei km 150 sehne ich richtig das Laufen herbei und bin erleichtert, als ich nach 5:37 Std. auf dem Rad endlich in die Laufschuhe wechseln darf.

Bei Laufkilometer 0,1 sieht es noch ganz locker aus. © www.asiphoto.com Die Wechselzone nutze ich wieder zu einer schöpferischen Pause. Die Profis wechseln hier in unter 1 Minuten, ich brauche 5x so lange. Wieder komplett nackig machen, in meiner dick gepolsterten Radhose kann ich nicht laufen. Als Nächstes die Kompressionssocken an, die habe ich mir gestern noch gekauft. Bin mit solchen Dingern noch nie gelaufen, aber Michael schwört drauf, also warum das nicht einfach mal ausprobieren, kann ja (vermutlich) nicht schaden. Zum Schluss nochmal Eincremen, die Sonne brennt inzwischen erbarmungslos und der Schatten auf der Laufstrecke nimmt sich recht übersichtlich aus. Meine Uhr zeigt 6:56 Std. Wettk(r)ampfzeit, als ich die Wechselzone verlasse und mich auf die erste von vier Laufrunden entlang des Mainufers begebe. Ich beginne mit etwas, was man sich bei der ersten Langdistanz eigentlich schenken sollte: mit Rechnen. Einen 6er-Schnitt wollte ich, wenn es gut läuft, auf dem Marathon noch laufen, also 4:10 Std. Bei etwas höherem Tempo könnte ich jetzt sogar noch die 11-Stunden-Marke knacken, das wäre für mich wie Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen.

Ich laufe also einfach mal los und merke nach 10 Schritten, dass eine 4:03 auf den Marathon noch ein ambitioniertes Unterfangen wird. Ich laufe wie auf Eiern, meine Beine fühlen sich schlimmer an, als bei jeder Koppeleinheit der vergangenen Monate. Egal, Kopf ausschalten und weiterlaufen. Bei Kilometer 1 merke ich, dass ich mir das Eincremen hätte schenken können, die zwei vollgesogenen Schwämme, die ich mir über Gesicht und Nacken klatsche, entfernen jegliche Creme sofort wieder von meiner Haut. Im gefühlten Schneckentempo geht es weiter, es kommt mir vor wie ein 7er-Schnitt, was ich hier laufe. Bei Kilometer 2 schaue ich auf die Bei Kilometer 10,5 sieht es schon etwas angestrengter aus. © www.asiphoto.com Uhr und staune: Ich laufe einen 5:15-er-Schnitt. Unglaublich, wie man beim Radfahren jegliches Geschwindigkeitsgefühl verliert, das Gehirn muss anschließend erst wieder auf Fußgängermodus umschalten. Ab Kilometer 3 läuft es runder, die Beine fühlen sich besser an und nicht mehr nach Pudding. Nach der 3. Verpflegungsstelle sind die Abläufe fast schon automatisiert: Gel runterwürgen, zwei Schwämme greifen und in die Hose stecken, Wasser und ISO greifen und runterkippen, neues Gel greifen und in die Hosentasche damit. Anschließend die Schwämme hervorkramen, Gesicht, Platte und Nacken kühlen. Das Ganze natürlich im Laufschritt. Die Schwämme behalte ich bei mir und kühle mit den letzten verbliebenen Tropfen auch zwischen den Verpflegungsstationen immer mal wieder den Nacken, weil mir die gefühlten 73 Grad Außentemperatur ansonsten ganz schnell zu Kopf steigen.

Bei km 6 wird's laut, die Zuschauer jubeln begeistert, als ich vorbeilaufe. Dummerweise gilt der Jubel nicht mir, sondern Timo Bracht, der auf der letzten Laufrunde die Führung übernommen hat und jetzt locker an mir vorbeiläuft. Kurz darauf folgt Eneko Llanos und auch Chris McCormack, der vorher als Favorit auf den Sieg gehandelt wurde, kriege ich noch hautnah mit. Was für ein dürrer Hering! Bei km 8 gibt's die erste und einzige Pullerpause. Das war ja auch noch eine meiner Sorgen, bei unseren langen Radausfahrten musste ich immer mindestens 3x ins Gebüsch, aber da war es auch selten so heiß, wahrscheinlich verdunstet die Flüssigkeit hier einfach sofort. Bei km 22 überhole ich Michael, der anscheinend Probleme hat, denn normalerweise ist er im Laufen deutlich stärker als ich. Der Versuch der Motivation artet in ein "Komm, es sind nur noch 20 km" aus. Dümmlicher geht's kaum, in dem Moment, wo ich es sage, beiße ich mir auch gleich auf die Lippen. Ich schiebe es einfach auf die Hitze, die weicht das Gehirn auf. 3 km später bereue ich den Spruch doppelt, denn ab km 25 fühlen sich meine Beine überhaupt nicht mehr gut an. Blitzschnell macht sich der Muskelkater breit, normalerweise gehe ich mit solchen Irgendwo zwischen Kilometer 33 und 38 ist der Spaß vergangen. © www.asiphoto.com Beinen noch in die Sauna, aber nicht 17 km Laufen. Ich beginne zu zweifeln, ob die 11 Stunden noch zu schaffen sind, laufe an den Verpflegungsstellen nicht mehr durch, sondern lege Gehpausen ein. Das Wiederanlaufen wird jedesmal zu einer Überwindung des inneren Schweinehundes. Als ich in die 4. und letzte Laufrunde gehe, frage ich mich, was das hier eigentlich soll, wofür ist das gut, warum gehe ich bei dem Wetter nicht einfach in den nächsten Biergarten? Dann der Blick zur Uhr: noch 1:09 für die letzten 10,5 km, dann wären die 11 Stunden geknackt. Genau diese Marke ist das Einzige, was mich jetzt noch vorwärtstreibt, der einzige Grund, immer wieder anzulaufen und nicht zu Ende zu gehen. Aber es bleibt immer noch die Angst, dass ich Krämpfe kriegen könnte, beim Köln Marathon ist mir das mal bei km 39 passiert, in Frankfurt gar bei km 41. Wenn der Muskel zu macht, ist vorbei, dann kann man nur noch ins Ziel humpeln. Aber die Krämpfe bleiben aus, was wohl auch auf das Salzwasser zurückzuführen ist, welches an den Verpflegungsstellen dankenswerterweise gereicht wird.

Geschafft! © www.asiphoto.com Als ich bei km 39 mein letztes Bändchen als Nachweis der gelaufenen Runden entgegennehme, beginne ich zu glauben, dass es klappen könnte. Gleichzeitig wundere ich mich über einige Leute, die noch überhaupt kein Bändchen haben, aber jetzt schon gehen. Jetzt noch 33 km Gehen hätte ich ja überhaupt keine Lust drauf. Bei km 40,5 überquere ich zum achten und letzten Mal den Main und sehe schon geistig den roten Teppich auf dem Weg zum Römer vor mir, was ein etwas irres Grinsen auf mein Gesicht zaubert. Kurz darauf biege ich auf die Zielgerade ein, die Schmerzen sind vergessen, ich genieße den Zieleinlauf, ein irres Gefühl, durch die jubelnden Zuschauer gemächlich ins Ziel zu traben. Am Ende bleibt die Uhr bei 10:51:53 für mich stehen, 3:56 Std. hat der Marathon noch gedauert. Ein Helfer wirft mir ein eisgekühltes Handtuch über den Kopf und fragt mich direkt, ob alles ok ist. Ich wundere mich, ob das breite Grinsen, welches ich den ganzen Tag nicht mehr aus dem Gesicht kriege, wohl einen anderen Schluss zulässt.

Nach Ende des Wettkampfs will ich den Zielbereich eigentlich gar nicht mehr verlassen, sondern lieber jede Sekunde Triathlon-Atmosphäre in mich aufsaugen. Irgendwann hat aber jeder Spaß auch mal ein Ende. Heute ist das um 23 Uhr der Zielschluss mit netter Lasershow und schönem Feuerwerk direkt am Römer. Es ist bereits kurz vor Mitternacht, als wir endlich unsere Räder aus der Wechselzone 2 auschecken. Ich traue meinen Augen kaum, als da noch ein Athlet angelaufen kommt und in die Zielgerade zum Römer einbiegt, beklatscht von dem Häufchen Passanten, die noch den lauen Sommerabend genießen. Die Zeitnahme ist schon lange ausgeschaltet, als der Mensch nach 17 Stunden über den Zielstrich läuft und er taucht auch in keiner Ergebnisliste auf. Aber er hat es für sich zu Ende gebracht. Das ist mein persönlicher Held dieser tollen Veranstaltung.

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